Im Prinzip brauchen wir überhaupt keinen Zucker. Wir Menschen kamen Jahrtausende lang ohne Zucker aus. Erst vor rund 200 Jahren wurde er Bestandteil der täglichen Ernährung. Dass wir dennoch nach Zucker verlangen, hat einen guten Grund: Unser Körper und vor allem unser Gehirn brauchen sehr viel Energie. Und Zucker ist ein hervorragender Energielieferant. Aber natürlich nicht der einzige. Denn unser Körper kann aus komplexen Kohlenhydraten ebenfalls Glukose herstellen, beispielsweise aus Nüssen oder Kartoffeln. So betrachtet, ist Zucker also kein notwendiges Nahrungsmittel, sondern ein reines Luxusprodukt.
Süsser Krankmacher
Ein Luxus aber, der uns teuer zu stehen kommt. Denn für unsere Gesundheit ist Zucker alles andere als gut. Ein überhöhter Zuckerkonsum ist für verschiedene Erkrankungen verantwortlich. So zählt Karies gemäss WHO nach wie vor zu den häufigsten oralen Erkrankungen. Auch Diabetes oder Adipositas können durch einen hohen Zuckerkonsum ausgelöst werden. Denn gerade in stark verarbeiteten Lebensmitteln befindet sich viel Zucker. Bewegen wir uns gleichzeitig wenig und verbrauchen dadurch weniger Energie, als wir einnehmen, kann dies zu einem dauerhaft erhöhten Blutzuckerspiegel, einer Fettstoffwechselstörung, einem zu grossen Taillenumfang und Bluthochdruck führen. Damit steigt das Risiko für Typ-II-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Zudem hat Zucker einen negativen Effekt auf das Gehirn und kann zu Gedächtnisproblemen führen, wie eine Studie von 2018 aus China und Grossbritannien gezeigt hat. Die Liste negativer Auswirkungen von Zucker ist also lang. Warum können wir trotzdem nicht die Finger davon lassen? Die Ursache liegt in unserem Gehirn. Studien zeigen, dass bereits Neugeborene gesüsstes Wasser dem ungesüssten vorziehen und bei bitterem Geschmack ihr Gesicht verziehen. Das ist evolutionär sinnvoll. Denn süsse Früchte sind meistens nicht giftig und spenden viel Energie. Unsere Vorfahren assen deshalb so viel wie möglich davon, sobald sie solche fanden. So konnte der Körper einen Energievorrat in Form von Glykogen und Fett für knappe Zeiten speichern.
Belohnungszentrum verstärkt die angeborene Lust auf Süsses
Evolutionär ein absolut sinnvoller Prozess. Doch in Zeiten des Nahrungsmittelüberflusses wird dieses Verlangen zum Problem. Denn die angeborene Lust auf Süsses wird durch eine zuckerreiche Ernährung nicht gestillt, sondern weiter verstärkt. Forschende des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung in Köln haben in Zusammenarbeit mit der Yale University diesen Effekt nachgewiesen: Wenn wir regelmässig auch nur kleine Mengen von Lebensmitteln mit hohem Fett- oder Zuckergehalt essen, lernt das Gehirn, auch weiterhin genau diese Lebensmittel konsumieren zu wollen. Heisst: Wenn man sich täglich von Pommes oder Torten ernährt, dann vergeht einem die Lust auf einen Apfel. Verantwortlich dafür ist das Belohnungszentrum im Gehirn. Das Ganze funktioniert wie ein Schaltkreis: Der Anblick oder der Duft eines leckeren Stücks Schokoladentorte führt zu einem Verlangen danach und der Körper erhält die Anweisung, dieses Verlangen zu stillen. Mit dem ersten Bissen im Mund entsteht ein Glücksgefühl, der Botenstoff Dopamin wird ausgeschüttet. Dieser Botenstoff gelangt in den Hippocampus, der wichtig für das Gedächtnis und das Lernen ist. Das Gehirn lernt so, dass ein Stück Schokoladenkuchen glücklich macht – und es verlangt mehr davon.
Gibt es eine Möglichkeit, diesen Teufelskreis zu durchbrechen? Hirnforscherinnen und -forscher vermuten, dass die Veränderungen im Gehirn innerhalb von acht bis zwölf Wochen wieder rückgängig gemacht werden können. Es besteht also Hoffnung. Und verschiedene Arbeitsgruppen forschen zurzeit an dieser Frage.
Spielerisch das Verlangen nach Süssem senken
Eine verblüffende Idee hatte der Neurologieprofessor Lucas Spierer mit seinem Team der Universität Freiburg. Sie haben entdeckt, dass das Belohnungszentrum des Menschen mit gewissen Mechanismen manipuliert werden kann, um beispielsweise die Lust auf ungesunde Lebensmittel zu senken. Zu diesem Zweck haben sie ein Videospiel entwickelt, das die Lust auf zuckerhaltige Getränke und Nahrungsmittel senken soll. Im Spiel geht es darum, möglichst schnell die gesunden Speisen aus dem Regal zu nehmen und sie auf den Tisch zu legen. Gleichzeitig müssen die Ungesunden ignoriert werden. Jedes Mal, wenn man ein gesundes Lebensmittel auswählt, erhält man einen Punkt, inklusive belohnender Ping-Melodie. Im Gehirn wird so der Schaltkreis neu verdrahtet. Punkte und Ping-Melodie sorgen dafür, dass bei der Spielerin oder dem Spieler Glücksgefühle ausgelöst werden, wenn die Wahl auf ein gesundes Lebensmittel fällt.
Erste Testresultate deuten darauf hin, dass bei den Probanden dank diesem Training tatsächlich die Lust auf Ungesundes sinkt und dieser Effekt mindestens einen Monat lang anhält. Das Videospiel befindet sich zurzeit noch in der Entwicklungsphase.