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Arbeitsrecht in der Praxis – Rechte und Pflichten als Arbeitgeber

med. dent. Sabrina Steinmeier
istock
Arbeitsrecht

Wer als Zahnarzt den Sprung in die Selbständigkeit wagt, stellt schnell fest, dass das Unternehmertum viel Wissen erfordert, das im Studium nicht gelehrt wurde. Roger Rudolph, Professor für Arbeits- und Privatrecht an der Universität Zürich, gibt uns eine kleine juristische Nachhilfestunde und ermöglicht uns einen Einblick in den Bereich des Arbeitsrechts.

Herr Rudolph, worin bestehen die typischen Fürsorgepflichten eines Arbeitgebers in einer Zahnarztpraxis?

Zu den fundamentalen Fürsorgepflichten gehört zunächst der Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden, zum Beispiel, indem man sichere Arbeitsgeräte und notwendige Hygienemittel zur Verfügung stellt. Schutz und – falls nötig – Massnahmen gegen sexuelle Belästigung oder Mobbing in der Praxis sind ebenfalls zentrale Bereiche der Fürsorgepflicht. Dazu gehören in einem weiteren Sinn aber auch die Gewährung von Ferien und Freizeit, das Ausstellen eines Arbeitszeugnisses oder das Erteilen von Referenzen.

Worin liegt eigentlich der Unterschied zwischen Überstunden und Überzeit?

Bei den Überstunden wird die geleistete Arbeitszeit mit der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verglichen, bei der Überzeit mit den gesetzlichen Höchstarbeitszeiten von 45 beziehungsweise 50 Wochenstunden. Wenn also eine 40-Stundenwoche vertraglich vereinbart ist und eine Mitarbeiterin in einer Woche 43 Stunden arbeitet, leistet sie drei Überstunden, aber noch keine Überzeitstunden. Diese Unterscheidung ist vor allem deshalb wichtig, weil im Falle von blossen Überstunden ein vertraglicher Spielraum besteht, während bei Überzeiten das Arbeitsgesetz – mit Ausnahmen – mit weitgehend zwingenden Regeln zum Zug kommt.

Wie müssen Überzeit oder Überstunden denn kompensiert werden können?

Die Kompensationsregeln sind bei beiden Kategorien vergleichbar, nämlich einvernehmlicher Zeitausgleich oder finanzielle Abgeltung mit einem Zuschlag von 25 Prozent.

Ist ein Zahnarzt, der als angestellter Zahnarzt unter eigener fachlicher Verantwortung arbeitet, bezüglich dieser „Mehrarbeit“ noch dem Arbeitsgesetz unterstellt?

Das Arbeitsgesetz kennt verschiedene Ausnahmetatbestände, auf die es nicht vollständig zur Anwendung gelangt. Dazu gehören auch die höheren leitenden Angestellten. Die Rechtsprechung legt diesen Begriff allerdings restriktiv aus, sodass ein angestellter Zahnarzt in aller Regel nach wie vor den Arbeits- und Ruhezeiten des Arbeitsgesetzes untersteht. Anders könnte es dann sein, wenn er eine erhebliche Leitungsfunktion ausübt. Allerdings kommt es in solchen Fällen sehr auf die konkreten Umstände an.

Was versteht man unter „Kündigungsfreiheit“?

Kündigungsfreiheit bedeutet, dass das Arbeitsverhältnis von beiden Vertragsparteien jederzeit und ohne besondere sachliche Rechtfertigung gekündigt werden kann. Es handelt sich allerdings nur um einen Grundsatz, der durch verschiedene Ausnahmen eingeschränkt wird.

Roger Rudolph
Roger Rudolph, Professor für Arbeits- und Privatrecht an der Universität Zürich

Welche sind das?

Das Gesetz kennt im Obligationenrecht sogenannte Schutz- oder Sperrfristen, während denen eine Arbeitgeberkündigung nicht zulässig ist oder sich die Kündigungsfrist verlängert, wenn die Kündigung zuvor schon ausgesprochen wurde. Im Vordergrund stehen krankheits- oder unfallbedingte Arbeitsverhinderungen, Schwangerschaft sowie Militär-, Schutz- und Zivildienst. Der Schutz ist aber in all diesen Fällen zeitlich beschränkt, so bei krankheitsbedingter Absenz während 30 Tagen im ersten Dienstjahr, während 90 Tagen vom zweiten bis zum fünften Dienstjahr und danach während 180 Tagen.

Muss es nachvollziehbare Gründe für eine Kündigung geben?

Eine Kündigung muss nach den Regeln des Obligationenrechts nicht sachlich gerechtfertigt oder gar notwendig sein. Hingegen untersagt das Gesetz missbräuchliche Kündigungen. Dies gilt zum Beispiel für Kündigungen wegen persönlicher Eigenschaften wie der sexuellen Orientierung, wegen der Ausübung verfassungsmässiger Rechte, wegen Geltendmachung arbeitsrechtlicher Ansprüche – dies wäre eine sogenannte Rachekündigung – oder wegen Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft. Demgegenüber sind Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen, wegen ungenügender Leistung oder mangelhaften Verhaltens in der Regel zulässig und nicht missbräuchlich.

Sind nachvertragliche Konkurrenzverbote in einer Zahnarztpraxis zulässig?

Das Obligationenrecht lässt es zu, dass sich Mitarbeitende vertraglich verpflichten, während einer bestimmten Zeit nach ihrem Ausscheiden keine konkurrenzierende Tätigkeit auszuüben. Dabei ist unter anderem vorausgesetzt, dass das Verbot in sachlicher, zeitlicher und örtlicher Hinsicht nicht übermässig ist. Dies alles gilt grundsätzlich auch für Zahnärzte. Die Rechtsprechung macht nun aber eine wichtige Ausnahme: Bei den sogenannt freien Berufen, wozu auch die Zahnärzte gehören, stehen regelmässig die besonderen beruflichen Fähigkeiten der Zahnärztin beziehungsweise das persönliche Verhältnis zwischen Zahnarzt und Patienten im Vordergrund. In solchen Fällen ist ein Konkurrenzverbot – Ausnahmekonstellationen vorbehalten – unzulässig. Das heisst, dass nachvertragliche Konkurrenzverbote zulasten einer ausgeschiedenen Zahnärztin in den meisten Fällen nicht wirksam sind und folglich auch nicht durchgesetzt werden können. Ganz anders sieht es bei Konkurrenzierung während noch laufender Anstellung aus. Dies wird von den Gerichten als schwerer Treuebruch gewertet und kann unter Umständen sogar eine fristlose Entlassung rechtfertigen.

Wie lange gilt eine Lohnfortzahlungspflicht?

Etwas vereinfacht ausgedrückt dauert sie im ersten Dienstjahr drei Wochen und nachher nach dem Gesetzeswortlaut „für eine angemessene längere Zeit“. Weil diese gesetzliche Formulierung sehr vage ist, haben die Gerichte Skalen entwickelt, die mit zunehmendem Dienstjahr einen ansteigenden Anspruch auf Lohnfortzahlung vorsehen. Nach der Zürcher Skala beträgt der Anspruch zum Beispiel im vierten Dienstjahr zehn Wochen, im fünften Dienstjahr elf Wochen, im sechsten Dienstjahr zwölf Wochen und so weiter. Möglich ist aber auch eine abweichende vertragliche Regelung, sofern sie gegenüber dem Gesetz mindestens gleichwertig ist. Im Vordergrund steht hier der Abschluss einer kollektiven Krankentaggeldversicherung durch die Arbeitgeberin. Kommen wir zu einem aktuellen Thema.

Kann ein Zahnarzt seine Mitarbeiter zu einer Covid-Impfung verpflichten?

Vorab ist klarzustellen, dass ein physischer Impfzwang ausgeschlossen ist. Niemand muss also befürchten, gegen seinen Willen, allenfalls sogar durch Polizeigewalt, geimpft zu werden. Die Frage ist vielmehr, ob arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen, wenn eine Aufforderung zur Impfung nicht befolgt wird. Dies wiederum hängt zentral von der Frage ab, ob und in welchen Konstellationen Arbeitgebende eine Impfung verlangen können. Diese Frage ist rechtlich komplex, stark umstritten und bis heute weitgehend ungeklärt.

Prof. Dr. iur. Roger Rudolph ist Referent beim SSO-akkreditierten Kompaktmodul „Arbeitsrecht in der Praxis“. Dieses findet im September 2022 wieder statt.