ALLA PANORAMICA

Soziale Zahnmedizin, Tarife und Prävention: Das war die Präsidentenkonferenz 2024

Andrea Renggli, Kommunikation SSO
Monika Flückiger, Fotografin
SSO-Präsident Jean-Philippe Haesler begrüsste die SSO-Kader in Thun.

Von der Präventionskampagne bis zum Tarif, von der sozialen Zahn­medizin zur Ausbildung der Dentalassistentin: Die Präsidentenkon­ferenz 2024 war vielseitig. Rund 60 Vertreterinnen und Vertreter von kantonalen Vorständen, Kommissionen und Fachgesellschaften trafen sich in Thun.

Berufspolitische Themen wie die Alterszahnmedizin standen im Fokus der Präsidentenkonferenz. SSO-Vizepräsident Christoph Senn und Lukas Gnädinger, der Beauftragte für Gerodontologie der SSO, stellten ein neu erarbeitetes Konzept zur Alterszahnmedizin vor. Es wird dazu beitragen, die Mundgesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeinstitutionen zu verbessern. Lukas Gnädinger zeigte, dass einfache Interventionen viel bewirken können: Schmerzen reduzieren, das Pneumonierisiko verringern und das Pflegefachpersonal sensibilisieren und schulen. Ausserdem erstellte die Arbeitsgruppe um Gnädinger einheitliche Formulare, etwa zur Eintrittsuntersuchung oder für die individuelle Mundpflegeverordnung. Die Dokumente stehen ab Frühling 2025 zur Verfügung.

Nun sind die Sektionen aufgerufen, aktiv zu werden. «Die Heimbetreuung ist keine Pflicht, aber ein sinnvoller und nützlicher Dienst zugunsten pflegebedürftiger Menschen und des Pflegepersonals», schloss Lukas Gnädinger.

Armutsgefährdete Personen brauchen Unterstützung

Rund 248 000 armutsgefährdete Personen in der Schweiz verzichten aus Kostengründen auf notwendige zahnärztliche Behandlungen – und zwar, obwohl es Hilfsangebote gibt. Hier will die SSO ansetzen. Olivier Marmy, Mitglied des Zentralvorstands, berichtete über dieses Engagement der SSO in der sozialen Zahnmedizin.

Das Pilotprojekt «Mundgesundheit für alle» im Kanton Freiburg hat wertvolle Erkenntnisse geliefert, auf denen sich weiter aufbauen lasse. So sollen auch in anderen Kantonen Verbesserungen erzielt werden. Dazu hat die SSO wichtige Partner gesucht und Massnahmen erarbeitet. Resultat ist ein Leitfaden für die Sektionen, den die Zahnärzte-Gesellschaft zusammen mit der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) und der Vereinigung der Kantonszahnärztinnen und Kantonszahnärzte der Schweiz (VKZS) verfasst hat. Ziel ist es, dass armutsgefährdete Personen künftig besser wissen, wie sie Zahnschäden vermeiden können, und wo sie allenfalls finanzielle Unterstützung erhalten. Ausserdem sollen, wo möglich, niederschwellige Angebote in den Kantonen geschaffen oder ausgebaut werden.

Der Beruf der Dentalassistentin soll attraktiver werden

Viele Zahnarztpraxen haben Mühe, offene Stellen für Dentalassistentinnen zu besetzen; unter anderem, weil nicht wenige direkt nach Abschluss der Lehre aus dem Beruf aussteigen. Die SSO hat sich diesem Thema angenommen und hat Zahnärztinnen und Zahnärzte als Arbeitgeber sowie junge Dentalassistentinnen kurz vor Ende ihrer Ausbildung befragt. Christoph Epting vom Zentralvorstand der SSO präsentierte die Massnahmen, die die zuständigen Kommissionen erarbeitet haben, um die Berufszufriedenheit zu verbessern und den Beruf wieder attraktiver zu machen.

Tarif und Abrechnungen

Ein weiterer Schwerpunkt der Präsidentenkonferenz waren Diskussionen rund um den Tarif und die Abrechnung von Leistungen. Nenad Lukic von der SSO Zürich berichtete von Problemen bei der Abrechnung von Leistungen für Schnarchschienen bei zwei Krankenkassen. Wanda Gnoinski, Beauftragte für Fragen der Invalidenversicherung, gab einen Einblick in die Abrechnung von zahnmedizinischen Behandlungen bei Geburtsgebrechen. Und Bernard Schneuwly, Präsident der Wirtschaftlichen Kommission der SSO (WiKo), beantwortete Fragen zu den Leistungspaketen Plus. Diese werden ab Anfang 2025 bei Abrechnungen mit den Sozialversicherern UV/MV angewendet. Die WiKo hat im November Webinare in allen Landessprachen durchgeführt, damit Zahnarztpraxen sich auf diese Umstellung vorbereiten können.

Was läuft in anderen Kantonen und Fachgesellschaften?

Die Präsidentenkonferenz ist auch eine Plattform für die Sektionen und Fachgesellschaften, um ihre Arbeit vorzustellen. So sprach Barbara Carollo, die neue Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Parodontologie, über die Sensibilisierungskampagne der Fachgesellschaft und über Projekte für die Privatpraxen. Valentin Huwiler, Präsident der Commissione d’informazione della Svizzera italiana (CISI), zeigte das neuste Präventionsprojekt aus dem Tessin: ein sogenanntes Flipbook. Dieses erklärt anschaulich, warum Zähneputzen wichtig ist, und wie es richtig geht.

Plinio Rondi, der Präsident der SSO Ticino, stellte das Projekt SOS Denti vor. Dabei werden Zahnrettungsboxen an vielbesuchten Orten und in öffentlichen Gebäuden im Kanton Tessin verteilt. Die Sektion arbeitet dazu mit der Fondazione Ticino Cuore zusammen, die bereits Behälter mit Defibrillatoren an öffentlichen Orten betreibt und verwaltet. Seit dem Start vor etwa einem Jahr wurden sechs solcher Zahnrettungsboxen genutzt. Nun wird die Ausweitung des Projekts in die Deutschschweiz geprüft.

Barbara Carollo ist die neue Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Parodontologie (SSP).
Barbara Carollo ist die neue Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Parodontologie (SSP).
Wanda Gnoinski ist die IV-Beauftragte der SSO.
Wanda Gnoinski ist die IV-Beauftragte der SSO.
Stefano Pellettieri, Präsident der SSO Thurgau
Stefano Pellettieri, Präsident der SSO Thurgau.
Christine Amrhein ist die Präsidentin der gesundheitspolitischen Kommission der SSO.
Christine Amrhein ist die Präsidentin der gesundheitspolitischen Kommission der SSO.
Valentin Huwiler, Präsident der CISI, stellte das neuste Präventionsprodukt aus dem Tessin vor.
Valentin Huwiler, Präsident der CISI, stellte das neuste Präventionsprodukt aus dem Tessin vor.
Olivier Marmy, SSO-Zentralvorstand und verantwortlich für das Departement Kommunikation
Olivier Marmy, SSO-Zentralvorstand und verantwortlich für das Departement Kommunikation.
Rainer Federn, Christoph Epting und Oliver Zeyer vom SSO-Zentralvorstand, dahinter Generalsekretär Simon Gassmann
Rainer Federn, Christoph Epting und Oliver Zeyer vom SSO-Zentralvorstand, dahinter Generalsekretär Simon Gassmann.
Nenad Lukic ist Präsident der SSO Zürich.
Nenad Lukic ist Präsident der SSO Zürich.
Oliver Zeyer, Vizepräsident SSO; Marco Bertschinger, Präsident des BZW, und Andreas Ettlin, Präsident WBA Allgemeine Zahnmedizin
Oliver Zeyer, Vizepräsident SSO; Marco Bertschinger, Präsident des BZW, und Andreas Ettlin, Präsident WBA Allgemeine Zahnmedizin.
Michael Bornstein, Editor in Chief des SDJ SSO
Michael Bornstein, Editor in Chief des SDJ SSO.
Plinio Rondi, Präsident der SSO Ticino
Plinio Rondi, Präsident der SSO Ticino.
Christoph Senn, Vizepräsident der SSO
Christoph Senn, Vizepräsident der SSO.

«Ohne Kompromisse geht es nicht»

Michael Ambühl, ehemaliger Staatssekretär und Berater für Verhandlungsführung, teilte sein Wissen um die Kunst erfolgreichen Verhandelns.
Michael Ambühl, ehemaliger Staatssekretär und Berater für Verhandlungsführung, teilte sein Wissen um die Kunst erfolgreichen Verhandelns.

Die SSO hat in den vergangenen Jahren wichtige Verhandlungen geführt und abgeschlossen. Aus diesem Grund war ein Experte für dieses Thema Gastreferent an der Präsidentenkonferenz. ETH-Professor Michael Ambühl führte als früherer Staatssekretär im SchweizerAussenministerium wichtigeVerhandlungen für die Schweiz, unter anderem zu den bilateralen Verträgen mit der EU zu Steuerfragen oder zum Finanzplatz . Er führte auch erfolgreich Mediationen zwischen Armenien und der Türkei und bereitete das Terrain vor für Verhandlungen zwischen den USA und Iran. In seinem Referat führte er in die Kunst des erfolgreichen Verhandelns ein.

Michael Ambühl, jeder Mensch muss im Alltag ab und zu verhandeln. Wie lernt man das?

Ein gutes theoretisches Fundament ist nützlich, speziell wenn es gepaart ist mit praktischer Erfahrung. Ausserdem rate ich, aktuelle Verhandlungen – zum Beispiel in der Politik – zu verfolgen. Durch Beobachtung kann man einiges lernen. Man wird sich auch bewusst, dass ständig und überall Verhandlungen stattfinden: im Alltag, unter Freunden oder Ehepartnern.

Warum braucht es ein theoretisches Fundament? Genügt es denn nicht, sich auf seine Menschenkenntnis und Durchsetzungsfähigkeit zu verlassen?

Nein, es braucht eine solide und gut vorbereitete Verhandlungsstrategie. Das heisst, ich muss mir bewusst sein, welches Ziel ich anstrebe. Auf dieser Grundlage kann ich ein Vorgehen definieren, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Gute Menschenkenntnis und gesunder Menschenverstand sind dabei sicherlich hilfreich.

Welches sind häufige Fehler?

Man sollte weder zu flexibel noch zu starr verhandeln, aber trotzdem zielgerichtet agieren. Dies ist leichter gesagt als getan. Ein gutes Gleichgewicht zwischen Härte und Flexibilität zu finden, ist die Kunst des Verhandelns. Häufige Fehler sind eine ungenügende Vorbereitung und oberflächliche Analyse der Ausgangssituation. Oder man agiert zu emotional.

Welchen Stellenwert hat die Ethik in einer Verhandlung? Darf man lügen, Informationen zurückhalten oder Themen miteinander verknüpfen?

Lügen ist unprofessionell. Dilettanten machen das. Wenn die Gegenseite lügt, muss man zeigen, dass die Lüge aufgedeckt worden ist. Anders liegt der Fall, wenn ich Informationen vorenthalte, z. B. den maximalen Preis, den ich zu zahlen bereit bin. Das gilt gemeinhin nicht als Lügen. Auch das Verknüpfen von Themen ist nicht unethisch. Das wird häufig gemacht, denn oft werden verschiedene Themen gleichzeitig verhandelt.

Welche Rolle spielt die Kommunikation während und nach der Verhandlung?

Auf der eigenen Seite sollte man die Vertraulichkeit durch geeignete Massnahmen steuern können. Informationen, die an die Öffentlichkeit gelangen, können die Verhandlung negativ beeinflussen. Entweder entsteht damit eine Erwartungshaltung, die man nicht erfüllen kann, oder die eigene Position wird untergraben.

Ist es eine Schwäche, wenn man Kompromisse eingeht?

Natürlich nicht, ohne Kompromisse geht es nicht. Es ist illusorisch zu denken, in einer Verhandlung bekomme man alles, was man will. Unter Umständen ist schon die Tatsache, dass wir einen Deal abschliessen können, ein Erfolg.

Wann war eine Verhandlung erfolgreich?

Ganz lapidar gesagt: Dann, wenn man sein Verhandlungsziel erreicht hat. Ideal ist es, wenn beide Seiten aus der Verhandlung einen Gewinn mitnehmen. Dazu gehört auch, dass alle ihr Gesicht wahren können. Dies ist insbesondere für Personen bedeutend, die im öffentlichen Rampenlicht stehen.